Kunststoff braucht Sachlichkeit und globale Lösungen

Aug 1, 2019
Kunststoff braucht Sachlichkeit und globale Lösungen

Bei den Tagen der Industriekultur gewährt das Kunststoff-Zentrum Leipzig gGmbH (KUZ) Einblick in seine aktuelle, anwendungsorientierte Forschungsarbeit. Dabei geht es unter anderem um Kunststoff aus Getreide, Spielzeugdinosaurier und kleine Linsen für ein Bronchoskop. KUZ-Bereichsleiterin Petra Krajewsky nimmt sich im Vorfeld die Zeit, um grundlegend über Plastik zu reden.

Plastik ist eigentlich die umgangssprachliche Bezeichnung für Kunststoff und eine Zukunft ohne ihn gibt es nicht, da ist sich Petra Krajewsky sicher, aber es muss sich einiges verändern. „Wir leben alle auf zu großem Fuß, was den ökologischen Fußabdruck betrifft“, weiß sie. Für eine Veränderung sind alle Akteure gefragt: Wirtschaft, Politik und Bevölkerung.

„Bei Verpackungen ist Kunststoff für eine längere Haltbarkeit von Lebensmitteln nicht mehr wegzudenken“, resümiert Krajewsky. Schichtdicken im Mikrometerbereich sind ein immenser Fortschritt, weil das insgesamt weniger Plastik bedeutet. Allerdings müsse man von Mehrfachverpackungen und möglichst von Mischmaterialien weg, denn für die Wiederverwendung ist Sortenreinheit von Vorteil. Gerade für Tüten bietet sich die zwei Kategorien Bio-Plastik an. Das sind einmal Kunststoffe aus erneuerbaren Rohstoffen wie Zuckerrohr, Mais oder Getreide und zum anderen bioabbaubare Kunststoffe.

Der Widerspruch in Bio-Kunststoff

Bio-Plastik ist jedoch keine generelle Lösung für das Plastik-Problem. „Auf der einen Seite soll Bio-Plastik so haltbar wie herkömmliche Kunststoffe sein und auf der anderen Seite soll es biologisch abbaubar sein“, erklärt Krajewsky. „Das ist ein Widerspruch.“ Für Anwendungen wie Verpackungen ist Bio-Kunststoff eine sehr gute Lösung, für möglichst langlebige Bauteile nicht.

Gerade im Bereich Bio-Kunststoffe ist Deutschland ein Entwicklungsland und hinkt anderen europäischen Staaten wie Schweden weit hinterher. „Die Infrastruktur und Rechtsgrundlage für die Rücknahme von bioabbaubaren Kunststoffen sind in Deutschland nicht geschaffen für die Zertifizierung von abbaubaren Bio-Kunststoffen und die Rücknahme ist ein Problem, weil Bio-Plastik nicht in die Gelbe Tonne gehört und in die Bio-Tonne schon gar nicht.“ Bio-Plastik muss separat entsorgt und in speziellen Anlagen kompostiert werden. All diese Probleme verhindern, dass sich abbaubarer Kunststoff aus erneuerbaren Rohstoffen durchsetzen kann.

Längere Verwertungsketten für Erdöl-Produkte

Bei Kunststoffen aus Erdöl braucht es ebenfalls ein radikales Umdenken. „Wir dürfen Erdöl nicht einfach verbrennen, sondern müssen erst etwas daraus machen, die Produkte recyclen und erst am Ende der Nutzungsphase energetisch verwerten.“ Derzeit wird mehr als die Hälfte der privaten und gewerblichen Kunststoffabfälle energetisch verwertet, also verbrannt. Damit ist der Teil des wiederverwendeten Anteils noch zu gering. Die Verwertungskette von der Erdölförderung bis zur Verbrennung muss also viel länger werden, aber auch dieser Weg braucht Veränderung in der Gesetzgebung und im Denken.

„Bei Lebensmittelverpackungen und Medizinprodukten ist der Einsatz von Recyclingmaterial sinnvollerweise verboten, weil sich Unreinheiten im Material ablagern können“, sagt Krajewsky. In anderen Bereichen wie im Fahrzeugbau müssen sich die Hersteller fragen lassen, an welchen Stellen der Einsatz von Bauteilen aus recycelten Materialien möglich ist.

Veränderung beginnt Zuhause

Veränderung beginnt aber auch bei jedem einzelnen selbst. „Ein Kunststoff-Hersteller aus Österreich verteilte in seinem Heimatort kostenlos Tupperdosen, damit die Menschen damit beim Fleischer einkaufen können“, berichtet Krajewsky, „aber nach fünf Tagen war die Luft bei den Leuten raus, weil die Menschen zu bequem sind.“ Neben der Lösung von hygienischen Problemen muss sich auch das Verhalten der Menschen im Sinne einer Mehrfachverwendung langfristig ändern.

Ein weiteres Problem zeigt sich beim Recyclingverhalten der Menschen, denn es wird nicht mehr sauber Müll getrennt. „Da waren wir schon mal weiter“, sagt Krajewsky. Plastikmüll lande auch wieder vermehrt in Wald und Heide. Dabei nehmen gerade in Leipzig die Wertstoffhöfe nahezu alles kostenlos entgegen.

Sachlicher Umgang notwendig

„Für die Zukunft wünsche ich mir eine öffentliche Debatte und Politik frei von Aktionismus, Polemik und Lobbyismus für ganz Europa“, erklärt Krajewsky. Die EU müsse sich auch mit Knowhow und Investitionen in Asien engagieren, denn Plastik und die Umweltfolgen sind ein globales Problem um das man sich gemeinsam kümmern müsse.

„Fridays For Future ist gut”, resümiert Krajewsky. “Die jungen Leute haben nicht im Detail den Überblick wegen der Komplexität vieler Umweltprobleme und das ist auch in Ordnung. Wichtig ist, dass die Leute wachgerüttelt werden und das leistet Fridays For Future.“

Diese jungen Menschen sind es auch, die in Zukunft die Erforschung neuer Möglichkeiten in den Werkstoffwissenschaften oder der Kunststofftechnik übernehmen, denn das Forschungspotenzial ist immens. In der Materialforschung gibt es beispielsweise vom Einsatz von Bakterien gegen Mikroplastik bis zur Entwicklung neuer, recycelbarer Kunststoffe noch unendlich viel Potenzial für eine Zukunft mit einem kleineren ökologischen Fußabdruck. Aber auch hier braucht es Unterstützung aus der Regierung.

Was? Führung durch die Technika des KUZ: Wie werden Produkte aus Kunststoff hergestellt? Von der Materialaufbereitung bis zum fertigen Produkt zeigen wir wie verschiedene Formteile hergestellt werden. Von ganz kleinen Teilen im Millimeterbereich bis hin zu größeren.

Wann? 23. August um 16 und 17 Uhr

Wo? Kunststoff-Zentrum Leipzig gGmbH, Erich-Zeigner-Allee 44 in 04229 Leipzig

Anmeldung? Die Anmeldung erfolgt in Kürze über www.industriekulturtage-leipzig.de

Noch was? Keine Teilnahmegebühr. Anmeldung ist erforderlich.
Die Teilnehmerzahl ist bei den Führungen auf 25 Teilnehmer begrenzt.

Foto: © Background Photodesign